OSTEOSARKOM



Studie


Extended Isolated Stopflow Limb Infusion (EISLI) beim hochgradig bösartigen Osteosarkom - vollständige pathologische Tumorremission und Implantation einer Kniegelenkprothese


Einführung


Osteosarkome sind seltene, meist hochmaligne Tumore, die überwiegend zwischen dem 14. und 19. Lebensjahr auftreten. Sie bilden sich vor allem in den Metaphysen langer Röhrenknochen (Humerus, Femur und Tibia) und sind charakterisiert durch schnelles Wachstum und die frühe Bildung von Metastasen, insbesondere in der Lunge. Eine frühzeitig angewandte Kombinationschemotherapie soll der Bildung von Fernmetastasen vorbeugen und durch Tumorvolumenreduktion eine Resektion ermöglichen. Sofern praktikabel wird dabei unter Einsatz verschiedener Operationstechniken der Tumor mit freien Resektionsrändern entfernt, um die Extremität zu erhalten. Kann der Tumor aufgrund seiner Lage und Ausdehnung aber nicht mit freien Rändern reseziert werden, ist eine Amputation oft nicht zu vermeiden.

Die isolierte Extremitätenperfusion und -infusion sind gut etablierte Methoden mit hoher Wirksamkeit, die als Standardbehandlungen für Melanome entwickelt wurden, sowie als mögliche therapeutische Strategie zur Erhaltung der Extremitäten für Patienten mit Weichteilsarkom. 

 

Die am Medias Klinikum Burghausen entwickelte Stop-Flow-Infusionstechnik ermöglicht eine gesteigerte Wirkstoffaufnahme durch die Erzeugung temporär sehr hoher Wirkstoffkonzentrationen in einem Milieu mit gestoppter Durchblutung in der Tumorregion. Eine Kombination beider Techniken, im Folgenden als Extended Isolated Stopflow Limb Infusion (EISLI, deutsch: Erweiterte Isolierte Extremitäten-Stop-Flow-Infusion) bezeichnet, wurde erstmalig in einem klinischen Setting angewandt. In diesem hier vorgestellten Fall einer jungen Patientin mit einem hochmalignen Osteosarkom am linken Femur erfolgte eine regionale Chemotherapie mit Hilfe der EISLI Technik, es wurde zudem gliedmaßenerhaltend operiert und schließlich eine Kniegelenkprothese implantiert. Dieser Fallbericht wurde nach SCARE-Kriterien geplant und verfasst.


Fallbericht


Zusammenfassung

Einleitung und Bedeutung: Eine 18-jährige Osteosarkom-Patientin mit einer großen Tumormasse am distalen Femur und Leistenmetastasen wurde mit dem Ziel behandelt, das Bein zu erhalten und zugleich die Beckenmetastasen einer lokalen Therapie zu unterziehen. Zu diesem Zweck wurde die Technik der isolierten Extremitätenperfusion adaptiert.

 

Falldarstellung

Die isolierte Extremitätenperfusion wurde als erweiterte isolierte Extremitäten-Stop-Flow-Infusion (EISLI) durchgeführt, bei der das Becken in das Perfusionsbett mit einbezogen wurde. Ballonkatheter wurden in der arteriellen und venösen Bifurkation im Becken eingeführt. Zur Erhöhung der Wirkstoffkonzentration an der Tumorstelle wurde ein arterieller Angiographiekatheter mit der Spitze direkt vor der Tumorregion platziert. Vor Beginn der Perfusionsphase erfolgte eine Wirkstoffexposition während einer Stop-Flow-Phase.

 

Klinische Diskussion

Nach vier EISLI Zyklen verschwanden die Läsionen im Becken, was eine erfolgreiche chirurgische Resektion des Tumors und die Implantation einer Endoprothese ermöglichte. Histopathologische Befunde zeigten keine verbliebenen vitalen Zellen in der resezierten Tumorregion. Zurzeit ist die Patientin tumorfrei und zeigt auch noch 18 Monate nach dem letzten Induktionsbehandlungszyklus keine Rezidive oder Lungenmetastasen.

 

Schlussfolgerung

Durch Anwendung der EISLI Technik ist die Einbeziehung des Beckens bei isolierter Extremitätenperfusion möglich. Zudem erlaubt EISLI bei niedrigen Gesamtdosen die Erzielung sehr hoher Wirkstoffkonzentrationen an der Tumorstelle, die jene einer typischen systemischen Chemotherapie oder einer standardmäßigen isolierten Extremitätenperfusion um ein Vielfaches übertreffen. Diese Technik ermöglichte somit den Erhalt der Gliedmaße bei gleichzeitiger Behandlung durch Krebszellen befallener Lymphknoten in der Leistengegend und im Becken. Die Lebensqualität bleibt während dieser regionalen Chemotherapie (RCT) dank der durchgeführten Chemofiltration erhalten.

 


Präsentation des Falles


Präliminäre klinische Daten – Diagnose und Erstlinien-Behandlung

 

Bei der Erstdiagnose zeigte ein MRT eine tumorverdächtige Raumforderung im linken Femur (intraossäre kraniokaudale Ausdehnung 8,2 cm, periossäres Gewebewachstum und Ödem mit einer Ausdehnung von >13 cm; axiale Ausdehnung 4,5 × 5 cm) und eine Satellitenläsion von 4 mm proximal zur primären Raumforderung. Eine Biopsie ergab ein hochaggressives Osteosarkom Grad G3, das gemäß dem EURAMOS-Protokoll mit hochdosiertem Methotrexat (MTX), Doxorubicin und Cisplatin behandelt wurde.

 

Eine vorläufige Thrombose-Risikobewertung zeigte einen homozygoten Polymorphismus der Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR), von der bekannt ist, dass sie die Aktivität des entsprechenden Enzyms dramatisch reduziert. Dies bedingt eine reduzierte Metabolisierung von MTX und eine erhöhte Toxizität des Wirkstoffs, wird aber in den deutschen Leitlinien nicht berücksichtigt. Dementsprechend bedingten die in der Erstlinien-Behandlung angewandten drei MTX-Zyklen schwere Nebenwirkungen, einschließlich Neutropenie und erschöpfender Übelkeit, was nach vier Behandlungszyklen trotz einem teilweisen Ansprechen zum Therapieabbruch führte. Sechs Monate später wurde ungeachtet alternativer Behandlungen (hochdosierte Vitamin-C-Infusionen und verschiedene Diäten) ein Krankheitsprogress diagnostiziert mit deutlich vergrößerter axialer Ausdehnung des Tumors, erhöhtem Stoffwechsel, einer Infiltration des Knochenmarks mit aktivem Stoffwechsel und einer pathologischen Femurfraktur.

 

Auch der Satellitentumor im linken Oberschenkel war progredient, ebenso die linken iliakalen Lymphknoten und es bestand der Verdacht eines Rezidivs mit Metastasen. Zudem wurden verdächtige Metastasen in der Leisten- und Oberschenkelregion gefunden, allerdings keine Hinweise auf Fernmetastasen. Eine externe orthopädische Abteilung empfahl in der Folge leitliniengerecht die Amputation des Beins als einzig sinnvolle und lebensrettende Behandlungsoption.

 

Methoden - Zweitlinien-Behandlung - regionale Chemotherapie und Operation

 

Die 18-jährige Patientin lehnte dies ab und entschied sich zugunsten einer regionalen hochkonzentrierten Chemotherapie mittels Extended Isolated Stopflow Limb Infusion (EISLI), der sie kurz daraufhin in unserer Einrichtung unterzogen wurde.

Die genauen Details zur Infusionsmethodik (Abb. 2), der Art und Dosierung der angewandten Chemotherapeutika und den Behandlungszyklen sind der Originalstudie zu entnehmen. Im Anschluss an vier Zyklen EISLI erfolgte die operative Entfernung des Tumors und die Implantation einer Kniegelenk-Endoprothese in einem externen orthopädischen Zentrum, sowie zwei Monate später ein weiterer adjuvanter EISLI-Zyklus.

 

 

Abb. 2: Infusionsmethodik der EISLI-Methode

 

Ergebnisse kompakt

 

• Alle Zyklen der isolierten Extremitäten-Stop-Flow-Infusion wurden
ohne subjektive Nebenwirkungen oder Knochenmarkdepression toleriert, die Wundheilung war immer ungestört.

 

• Ein MRT nach dem zweiten Therapiezyklus zeigte eine erste Tumorregression, eine Schrumpfung des Ödems, der Satellitenknoten und der Leistenlymphknoten.

 

• Nach vier EISLI-Zyklen zeigte sich im MRT eine weitere Tumorregression, ein noch vorhandener Satellitenknoten, aber ein völliges Verschwinden aller Lymphknotenmetastasen und kein Hinweis auf Fernmetastasen (Abb. 3).

 

• Der diagnostische Befund erlaubte nun die operative Entfernung des Tumors und die Implantation einer Kniegelenk-Endoprothese.

 

• Histopathologisch zeigte sich, dass das gesamte Tumorbett exzidiert worden war und die Abwesenheit vitaler Tumorzellen als Zeichen einer pathologischen Komplettremission. Zur Resektion wurde der Satellitentumor in das Exzisionsbett eingeschlossen.

 

• Der fünfte, adjuvante Zyklus von EISLI wurde ohne Nebenwirkungen gut vertragen.

 

• Ein PET-CT zwei Monate später ergab keine Hinweise auf ein Lokalrezidiv oder auf Lymphknoten- oder Fernmetastasen.

 

• Auch 18 Monaten nach der letzten Chemotherapie zeigen sich in der Kontrolluntersuchung keine Anzeichen eines Rezidivs

 

• Eine pharmakokinetische Untersuchung bestätigte einen sehr hohen Cisplatin-Spiegel in der tumorversorgenden Arterie, trotz einer geringen Gesamtdosis. Ebenso war die in der peripheren Vene des Tumors gemessene Konzentration stets weit höher als bei üblichen systemischen Chemotherapien, zugleich aber viel niedriger als am arteriellen Messpunkt, was auf eine stringente Gewebeaufnahme hinweist.

 

• Die Wirkstoffkonzentration an arteriellen und venösen Messpunkten in der Extremität nahm nach Beginn der Chemofiltration schnell ab und die periphere Messung zeigte durchgehend niedrige systemische Cisplatin-Konzentrationen.

 

Abb. 3: Entwicklung der Tumorremission im Verlauf der EISLI-Zyklen

Download
Aigner et al_Extended Isolated Stopflow
Adobe Acrobat Dokument 1.6 MB


Diskussion


Der grundlegende Zugang in der Behandlung eines Sarkoms besteht aus einer Induktionschemotherapie, gefolgt von der chirurgischen Entfernung des Tumors und einer weiteren Chemotherapie.

 

Die Operation hat das Ziel, den Tumor vollständig zu entfernen und dabei zugleich die betroffene Extremität möglichst zu erhalten und setzt für ihren Erfolg voraus, dass der Tumor auf die Chemotherapie gut anspricht. Ein solches Ansprechen war im vorliegenden Fall gegeben, doch führten die unerträglichen Nebenwirkungen der Behandlung zu einem vorzeitigen Therapieabbruch auf Wunsch der Patientin. Um derartige Nebenwirklungen nach Möglichkeit zu vermeiden und gleichzeitig die Konzentration der offenbar wirksamen Chemotherapeutika zu erhöhen, wandten wir die neuentwickelte Methode der Erweiterten Isolierten Extremitäten-Stop-Flow-Infusion (EISLI) an, bei der nach einer kurzen arteriellen Infusion der Wirkstoffe eine 5-minütige Stop-Flow-Phase folgt, bevor eine isolierte 5-10-minütige Perfusion mit einer externen Rollenpumpe gestartet wird.

 

Mit Hilfe dieser Technik wird bei einer geringen Gesamtdosis der Chemotherapeutika eine lokal sehr hohe Konzentration am Tumorgewebe erzeugt, was im vorliegenden Fall zur gewünschten vollständigen Nekrose des Osteosarkoms und der befallenen iliakalen Lymphknoten führte. Dies erlaubte anschließend eine vollständige Resektion des Tumors und die Implantation einer Kniegelenksprothese sowie die Feststellung, dass auch in einem Follow-up nach 18 Monaten keine Anzeichen einer Erkrankung mehr gefunden werden konnten.

 

Schlussfolgerung

 

Die EISLI (Extended Isolated Stopflow Limb Infusion) ist eine wirksame Behandlungsmethode bei bösartigen Tumoren der Extremitäten, selbst wenn bereits Metastasen im Beckenbereich vorhanden sind. Die Technik ist eine Weiterentwicklung der etablierten Isolated Limb Perfusion (ILP) und ermöglicht durch Induktion einer schnellen Tumorschrumpfung ohne signifikante Nebenwirkungen, die Resektion des Tumors, sogar in einem Fall wie dem vorgestellten, bei dem eine Amputation als einzige verbleibende Option angesehen wurde. Durch die direkte Infusion in die tumorversorgende Arterie und die Vermeidung der Verdünnung von Chemotherapeutika im Perfusionsreservoir werden trotz einer geringen Gesamtdosierung sehr hohe Wirkstoffkonzentrationen am Tumor erreicht und zugleich die Lebensqualität des Patienten weitgehend erhalten.